Neue oder überarbeitete Passagen der Neuauflage von Band 1
Kanada Nach fünf Tagen in der Bay Area flog Karmapa mit seiner Gruppe nach Vancouver. Kanada war in den frühen bewegten 1970er Jahren wie ein friedlicher Hafen, ein Land, das nicht nur amerikanische Dissidenten des Vietnamkriegs aufnahm, sondern auch als einziger westlicher Staat neben der Schweiz einer größeren Zahl tibetischer Flüchtlinge Asyl gewährt hatte. Präsident Trudeau hatte bei einem früheren Indienbesuch Indira Ghandhi und den Dalai Lama getroffen und die Aufnahme einiger hundert Tibeter zugesagt, von denen genau 288 im Jahr 1968 angekommen waren. Im Land lebten bereits einige Lamas, und Kagyü-Rinpoches wie Kalu, Trungpa hatten es besucht und Zentren gegründet, wie auch Karma Thinle Rinpoche, dessen zweite Heimat das Land wurde. Am Flughafen der kanadischen Metropole wurde Karmapa von Kalu Rinpoche willkommen geheißen, in dessen Zentrum Kagyu Kunkyab Chuling er während seines einwöchigen Besuchs in der Stadt wohnte. Zu dem offiziellen Programm gehörte auch ein Empfang im Government House in Victoria, wo Yishin Norbu vom stellvertretenden Gouverneur von British Columbia begrüßt wurde. Man lud ihn zu einer Wal-Show ein, der er in der ersten Reihe beiwohnte. Karmapa war von Anfang an bester Stimmung, scherzte und brach in das ihm eigene schallende Gelächter aus, als einer der Wale mit seiner Schwanzflosse schlagend eine riesige Welle über ihn und seine Mönche niedergehen ließ. Bei einem anschließenden Rundflug in einer Cessna, den Karmapa gemeinsam mit Kalu Rinpoche machte, fragte ihn der Pilot aus (oder besser im) heiterem Himmel, ob er auch einmal das Steuer übernehmen wollte. „Selbstverständlich“ war die Antwort.[1] Yishin Norbu, der noch nicht einmal einen Führerschein besaß, umflog mit dem Flieger wohlgelaunt in einem großen Bogen den Mount Tuam auf der Salt Spring Island, so als habe er geahnt, dass dort später ein Dreijahres-das Zentrum Kunzang Dechen Osel Ling beherbergen sollte. Aber vielleicht ahnte er es auch, denn er machte die Bemerkung, dass man auf einer der Inseln ein Kloster bauen sollte. [2] Ein weiterer – wenn auch indirekter und weniger nasser – Kontakt mit Walen stellte sein Treffen mit Greenpeace-Aktivist Robert Hunter dar. Karmapa segnete während seines Lebens viele ökologische Initiativen – einschließlich der ersten Greenpeace-Aktion, die heute so berühmt ist. Hunter erzählte ihm von den Plänen, ein großes Schiff zu mieten um in Japan Wale zu retten. Hunter: „‚Zufällig‘ war das Oberhaupt einer Schule des tibetischen Buddhismus, der 16. Gyalwa Karmapa, den seine Anhänger für die Personifizierung des göttlichen Mitgefühls halten in Vancouver und erklärte, als wir ihm von unseren Plänen erzählten, dass sie ‚im Einklang mit Buddhas Willen‘ sind und gab uns seinen persönlichen Segen. [3] Karmapa beeindruckte Hunter in einem Maße, dass er als die rainbow Warrior ernsthaft in Probleme geriet, zu „Gyalwa Karmapa XVI, Buddha, Gott, Jesus, und dem Heiligen Franz von Assisi“ betete.[4]
[2] Freda Bedi: The Life of His Holiness the 16th Karmapa, a.a.O..
[3] Thomas Thorner & Thor Frohn-Nielsen: A Country Nourished on Self-Doubt: Documents in Post-Confederation Canadian History, Broadview Press 2003, S. 565.
[4]Man beachte die Reihenfolge! Robert Hunter: Warriors of the Rainbow: A Chronicle of the Greenpeace Movement, Holt, Rinehart and Winston 1979, S. 289.