Freda Bedi – Sister Ketschok Palmo Die Britin Freda Bedi kam in den 1930er Jahren nach Indien, wo sie später Mahātmā Gandhi in seinem Kampf für die Unabhängigkeit des Landes unterstützte und dafür sogar kurz ins Gefängnis kam. Als Bedi 1960 Gangtok besuchte, erklärte ihr ein befreundeter Diplomat, sie könne unmöglich abreisen ohne Karmapa besucht zu haben. Die folgende Begegnung ist beispielhaft für Yishin Norbus Treffen mit Menschen aus dem Westen, denn sie änderte ihr Leben von Grund auf. Gemeinsam mit ihrem Freund mietete Bedi Maulesel, um nach Rumtek zu reiten, da es damals noch keine fahrbare Straße dorthin gab. Dort wurde Bedi zu Karmapa geführt, und dieser begrüßte sie voller Wärme und Mitgefühl. Da sie sich damals bereits um tibetische Flüchtlinge kümmerte, drehte sich zuerst die Unterhaltung um dieses Thema. Erst dann sprachen sie über Meditation. Karmapa verstand es, für jeden die passende Antwort parat zu haben, ganz gleich, welchen Erfahrungshorizont der oder die Betreffende hatte. Bedi erklärte, dass sie sich zur Mantrapraxis hingezogen fühlte, aber nicht wüsste, wie sie dies mit der Achtsamkeitsmeditation verbinden sollte, die sie in der burmesischen Vipassāna-Tradition gelernt hatte. Karmapa erwiderte: „Oh, richte die Achtsamkeit einfach auf die Mala“ – eine Antwort die der Britin vollkommen einleuchtete. Anschließend kam es zu dem Ereignis, das ihrem Leben eine neue Richtung gab: „Als ich bereits drauf und dran war zu gehen, stand Karmapa auf und zeigte sich als Buddha. Er stand in der Ecke des Raumes, mit einer Hand erhoben, und segnete mich, in der Haltung der Gandhara-Buddha-Statue. Es war vollkommen natürlich. Von diesem Augenblick an war er in meinem Herzen, wurde der ganz Besondere für mich. Es passierte einfach so, so seltsam es auch war.“[1] Sheila Fugard, eine enge Schülerin Bedis berichtet: „Sie wusste sofort, dass dieser tibetische Yogī* ihr Guru war. Sie hatte lange gesucht, jetzt war sie heimgekehrt. Karmapa selbst sagte ihr, dass ihre Beziehung aus früheren Leben stammte. Er akzeptierte sie als persönliche Schülerin, gab ihr Ermächtigungen und bereitete sie auf den tantrischen Weg vor.“[2] Bedi leitete ab 1961 die Young Lamas School in Dalhousie, deren spirituelle Leitung Chögyam Trungpa Rinpoche oblag. 1962 gründete Sie auf Wunsch Karmapas ebenfalls in Dalhousie das Frauenkloster Karma Drubgyü Thargay Ling, das 1968 nach Tilokpur umzog. Bedi war es auch, die eine alte Studienkollegin aus ihrer Studienzeit in England, eine spätere Mitstreiterin für Indiens Unabhängigkeit, zu Yishin Norbu führte: Indira Gandhi.[3] Karmapa schenkte Bedi später ein Stück Land in Rumtek, wo sie sich eine Eremitage errichtete und einige Zeit in Zurückgezogenheit verbrachte. Im Jahr 1966 gab er ihr die Novizinnen-Gelübde und den Namen Ani Ketschok Palmo, wobei sie meist Sister Palmo oder auch einfach liebevoll Mummy genannt wurde. Sie wurde Karmapas Fremdsprachensekretärin und gleichzeitig eine Beraterin. Karmapa sprach ihr, einem Neuankömmling aus dem Westen und noch dazu einer Frau, gleich zu Beginn eine in Asien ungewöhnliche Position zu: In der tibetischen Tradition ist die Lage von Wohnungen – ähnlich wie die Höhe der Throne – von höchst symbolischer Bedeutung: Karmapa lebte entsprechend in der höchstgelegenen Wohnung des Klosters. Jetzt wies er Mummy ein Zimmer direkt darunter zu. Für Tibeter war es unvorstellbar, einer Frau ein solches Privileg zuzusprechen. Karmapas Verhalten Bedi gegenüber leitete eine sanfte Revolution hinsichtlich der Rolle der Frau ein. Er stärkte die Stellung der Nonnen, indem er sie 1972 nach Hongkong schickte, wo sie die vollen Gelübde nehmen sollte – so war sie nicht nur die erste westliche Nonne, die die Novizinnen-Ordination genommen hatte, sondern wurde sogar zur ersten vollordinierten Nonne der tibetischen Tradition überhaupt.[4]
[1]Bedi im Interview mit Lex Hixon, zit. in: Mackenzie, Vicki: The Revolutionary Life of Freda Bedi: British Feminist, Indian Nationalist, Buddhist Nun, Shambhala 2017.
[2]Sheila Fugard: Lady of Realisation, a. a. O., S. 33.
[3]Die spätere indische Präsidentin wurde eine wichtige Unterstützerin von Karmapa.
[4]Mackenzie, Vicki: The Revolutionary Life of Freda Bedi, a. a. O. In der tibetischen Tradition existierte die Übertragung der vollen Ordination seit dem 9. Jahrhundert nicht mehr, weswegen sie sie in Hongkong nahm.