Der 16. Gyalwa Karmapa erkrankte bereits 1979 an Krebs und verschiedenen anderen Krankheiten. Im September 1981 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand rapide. Er flog nach Hong Kong in ein renommiertes Krankenhaus. Schließlich kam er im Oktober in eine Spezialklinik in Zion/USA, wo er mit neuen Heilmethoden behnadelt wurde, allerdings am 5. November starb.
„Ihre Heiligkeit, Sie sterben“ Karmapa zeigte lange Zeit diese vollkommene und gleichzeitig spielerische Meisterschaft über seinen Körper, doch am 3.11. verschlechterte sich sein Zustand erneut drastisch – was selbst die äußere Natur zu spiegeln schien: Es gab einen plötzlichen Wintereinbruch, Nebel zog auf und der erste Schnee fiel in der Stadt. An diesem Tag spitzte sich seine Lungenentzündung derart zu, dass die Lungen begannen, zu versagen. Man musste einen Schlauch einführen... Und das verlängerte sein Leben um 36 Stunden. Yishin Norbu fragte Dr. Sanchez, wie es um ihn stehe und dieser antwortete nach einigem Zögern: „Ihre Heiligkeit, Sie sterben“ Am darauf folgenden Tag setzten einige Organe aus. Und dann kam der Tag, an dem sein Herz aufhörte zu schlagen – der 5.11.1981. Doch auch hier nutzte Karmapa dies als Gelegenheit, seine Freunde in Erstaunen zu versetzen: Gegen vier Uhr nachmittags zeigten sich erste Zeichen eines Herzinfarktes, der um 21 Uhr akut wurde. Dr. Levy: „Dann setzte das Herz für etwa zehn Sekunden aus. Wir belebten ihn wieder, es gab Probleme mit dem Blutdruck, aber auch das kam wieder in Ordnung. Für 25 bis 30 Minuten war er stabil und dann sah es so aus, als habe er einen Herzinfarkt. Der Blutdruck sackte ab, was wir auch mit Medikamenten nicht in den Griff bekamen.“[1] Schließlich hörte das Herz auf zu schlagen. Dr. Kotwal: „Nichtsdestotrotz verließ uns Karmapa mit einem letzten Wunder. Nach zehn Minuten, in denen das Herz nicht mehr von alleine geschlagen hatte und die Durchblutung nur künstlich durch Herzmassage aufrecht erhalten wurde, einigten wir uns, mit den lebensverlängernden Maßnahmen aufzuhören und die Schläuche und Kabel von dem Körper Seine Heiligkeit zu nehmen. Plötzlich begann er wieder zu atmen! Sein Puls kam zurück.“[2] Dr. Dwight McKee: „Es war wirklich ungeheuerlich. Etwa zehn Minuten, nachdem sein Herz zum zweiten Mal aufgehört hatte zu schlagen – wir hatten gerade die Beatmungsapparate ausgeschaltet und entfernten all die Schläuche – schlug sein Herz von neuem, er bekam einen enormen Blutdruck, atmete wieder selbstständig. Er erwachte wieder zum Leben. Er blieb für etwa 5 Minuten und verließ uns wieder.” Dr. Levy: „Einer der älteren Rinpoches sagte: ‚Es ist unmöglich, aber wahr!‘ (...) Ich selbst dachte in dieser Situation ohnmächtig zu werden... Keiner sagte ein Wort. Wir hatten viel mit Seiner Heiligkeit erlebt, aber das war mit Sicherheit das größte Wunder, das ich je gesehen habe. Nach 25 Minuten Reanimation hatte Seine Heiligkeit immer noch keinen Puls und keinen Blutdruck. Doch dann kamen sein Blutdruck und Herzschlag zurück... Da dies eigentlich unmöglich war, rief ich: ‚Wer manipuliert den Monitor?‘ Doch niemand tat das – Seine Heiligkeit war einfach ins Leben zurückgekehrt, so als wollte er sagen: ‚Ich bin immer noch da!‘ Fünf Minuten später hörte sein Herz wieder auf zu schlagen. Es war, als merke er, dass es nicht machbar sei, dass sein Körper ihn nicht mehr trug und er ging, er starb.“[3] Diesmal ging er endgültig.
Seine Heiligkeit, einer der größten Bodhisattvas des 20. Jahrhunderts, verließ am 5. November 1981 um 23:30 Uhr seinen Körper…
Die Nachtodmeditation Hatte Yishin Norbu in Krankheit und Tod bereits alle Anwesenden in bares Erstaunen versetzt, brachte er im Samādhi seines Nachtodzustands sämtliche Naturgesetze ins Wanken. Nach den Wochen mit Yishin Norbu während derer alle miterleben durften, wie ein hoher Bodhisattva mit Krankheit und Tod umgeht, dachten alle, dass nichts sie mehr erstaunen könnte. Doch selbst nach seinem klinischen Tod verblüffte Yishin Norbu alle erneut... „Situ Rinpoche wusch den Körper Seiner Heiligkeit und malte Schutzmantras auf seine Chakren (physiopsychischen Zentren). Dann ließ man den Körper Seiner Heiligkeit im Raum alleine, die Mönche begannen vor der Tür mit einer Puja. Sein Körper zeigte keine Anzeichen der üblichen Leichenstarre, sondern schien so, wie er im Moment des Todes war, zu bleiben. Nach einer Weile bemerkte man, dass seine Herzgegend noch immer warm war – ein Hinweis darauf, dass er in Samādhi verweilte.“[4] Entgegen aller Gebräuche und Gesetze in westlichen Krankenhäusern stimmte das medizinische Personal dem Wunsch der Tibeter zu, Seine Heiligkeit für die ganze Zeit seiner Nachtodmeditation in seinem Raum zu lassen, damit seine Nachtodmeditation nicht gestört werde. Er hatte sie so tief berührt, dass es für sie sogar undenkbar gewesen wäre, seinen Körper vor dem Ende des Samādhi zu bewegen. Sie respektierten voll und ganz die tibetische Tradition, obwohl sie einen meist christlichen oder atheistischen Hintergrund hatten. Ihre Einstellung drückte Chefchirurg Dr. Ranulfo Sanchez, ein praktizierender Christ, stellvertretend für viele im Team aus: „Ich hatte das Gefühl, dass Seine Heiligkeit kein gewöhnlicher Mensch war. Wenn er einen ansah, war es, als erforsche er einen, er schien einen zu durchschauen. Ich war sehr beeindruckt von der Art, wie er mich anblickte und genau zu verstehen schien, was los war. Seine Heiligkeit hinterließ bei jedem, der im Krankenhaus mit ihm in Kontakt gekommen war, einen starken Eindruck. Viele Male, wenn wir dachten, jetzt ginge es mit ihm zu Ende, lächelte er uns an und sagte, dass wir uns irrten und dann besserte sich sein Zustand wieder... Sie brachten mich 36 Stunden nach seinem Tod in sein Zimmer. Ich legte meine Hand auf die Brust über dem Herzen und dort war sie wärmer als anderswo. Das ist etwas, für das ich schlicht keine medizinische Erklärung habe!“[5] In den Tagen nach Yishin Norbus Parinirvāṇa war es auf dem zuvor betriebsamen Flur des Krankenhauses sehr friedvoll. Dr. Kotwal: „Die intensive Stille war überwältigend und durchdringend. Wenn ich im Raum [bei Karmapa] war, konnte ich meinen Atem deutlich hören. Ich war ergriffen, wenn den Raum betrat – im gesamten zweiten Stockwerk ruhte die Arbeit, es war ruhig. Ich spürte regelrecht den Klang der Stille – wie in den hohen Bergen. Die Intensivstation, die seit dem 19. Oktober in seiner Betriebsamkeit einem Bienenstock geglichen hatte, war nun eine Oase des Friedens. Tai Situpa brachte mich zu Karmapas Körper. In der Nacht nach seinem Tod weinten alle. Als Situpa am nächsten Tag kam, nahm er mich wieder zu Karmapa mit, hob die Kleider an und ließ mich die Herzgegend berühren – sie war warm! Auch die Form der Nase und der Zustand der Haut waren unverändert. Am 7. November kam ich wieder und der Zustand war unverändert; ich berührte die Herzgegend und meine Neugier führte mich auch an andere Stellen des Körpers und ich berührte auch die Nase. Der Körper war warm, die Haut unverändert und es gab keine Zeichen der Leichenstarre.“[6] Dies waren die typischen Zeichen, die die Nachtodmeditation eines geübten Praktizierenden begleiten und sie dauerten drei Tage an. In Tibet hatten über die Jahrhunderte tausende Meister auf diese Weise ihren Übergang vollzogen. Doch Karmapa war der erste, der dies im Westen zeigte – und das vor den Augen der versammelten Ärzteschaft. Was früher vielen als Legende galt, war nun wissenschaftlich dokumentierte Tatsache. Hatte Seine Heiligkeit deswegen gewählt, inmitten der Apparate zu sterben?
[1] Dr. Levy in: Ray: Secret of the Vajra World,~, S. 475.
[3] 1. Absatz: Dr. Levy in: Ray: Secret of the Vajra World,~, S. 475. 2. Absatz: Chender: His Holiness Dies…,~, S.28. In späteren Schilderungen sprach Dr. Levy von einer Stunde Herzstillstand. Dr. Kotwal und Dr. McKee sprechen von etwa 10 Minuten – die Diskrepanz ist damit zu erklären, dass in solchen Situationen ist das Zeitempfinden sicherlich noch subjektiver ist als normalerweise.