Foto: 16. Karmapa mit Lama Gendün Rinpoche und dem noch kleinen Karma Trinley Rinpoche. Foto: © Bernard Lebeau
Lama Gendün Rinpoche: Geschichte und Prophezeiung der Karmapas
Vor langer Zeit versammelten sich die mitfühlenden Buddhas angesichts des Leidens aller Lebewesen in den sechs Daseinsbereichen.* Um diese von dem Leiden zahlloser Wiedergeburten in dem Kreislauf bedingter Existenz zu befreien, beteten sie, dass ihr Verdienst reif werde und sie so von den Verdunkelungen infolge ihrer unheilsamen Handlungen von Körper, Rede und Geist befreit würden. Die Buddhas verweilten in vollkommener, tiefer und klarer meditativer Versenkung. [Um ihnen zu Hilfe zu kommen], wählten sie anschließend Karmapa, die Ausstrahlung von Avalokiteśvara, des großen Mitfühlenden, aus, auf der Erde Geburt anzunehmen.
Von der ersten Inkarnation als Düsum Khyenpa bis zum derzeitigen Karmapa, Rangdjung Rigpe Dordje, haben sich die Karmapas ohne Unterbrechung inkarniert. In der Vergangenheit gab es in den zehn Richtungen der Weite des Raums zahllose Buddhas, die den Lebewesen die authentischen Lehren der Erwachten erklärten. Im jetzigen Zeitalter hat Buddha Śakyamuni als Erster die Dharma-Lehren gegeben. In einem künftigen Kalpa wird das Dharma-Rad von Seiner Heiligkeit Karmapa gedreht werden, der dann als Buddha Drukpa Senge1 bekannt werden wird.
Der kostbare Guru Padmasambhava hat meiner Ansicht nach ganz richtig bemerkt, dass alle, die das Gesicht Karmapas sehen oder seine Stimme hören, unermesslich viele Verunreinigungen und Verdunkelungen reinigen, wodurch die Wiedergeburt in niederen Daseinsbereichen abgewendet wird. In der Lehrrede des Buddha namens Trowo Namchag Barwä Gyü2 [Tantra des brennenden Meteoriten] steht:
„In dem vollständig reinen Mandala wird das Wesen von universellem Ansehen erscheinen, Karmapa genannt. Er vereint in sich die Buddhas der zehn Himmelsrichtungen* und zeigt in diesem Leben die höchste Verwirklichung.”3
Und [im Dodupa Sutra [Mdo-Dsdus-Pas-Les] heißt es: „In zahllosen Welten werden zahllose Inkarnationen Karmapas erscheinen.“
Und in einem anderen Sutra steht: „In den zehn Richtungen, in allen Bereichen des Raumes, sitzen hunderttausende Buddhas und in hunderttausenden Welten kommen zahllose Karmapas.“
In einem anderen Text des Buddha, dem Samādhirāja-sūtra4 heißt es:
„In etwa zweitausend Jahren werden meine Lehren in das Land der Rotgesichter (Tibet) kommen, die von Avalokiteshvara zum Dharma gebracht worden sind. Wenn die Lehren dort dann im Verfall begriffen sind, wird sich der Bodhisattva mit der Löwenstimme, genannt Karmapa, manifestieren. Er wird die Wesen durch die Kraft seines Samadhi wieder auf den Weg bringen und sie ins Glück führen, indem sie ihn sehen, von ihm hören, an ihn denken und ihn berühren.“
Und in dem Sutra von der Ankunft in [Shri] Lanka [Laṅkāvatāra sūtra] 5 ist zu lesen:
„Der Halter der Schwarzen Krone wird, gekleidet in die Roben eines Mönches, bis ans Ende der Unterweisungen der tausend Buddhas unablässig das Wohl der Wesen bewirken.“
All diese Zitate wurden nicht von irgendjemand gesprochen, sondern stammen zweifelsohne von Buddha Śakyamuni selbst.6
Ich glaube, all das zeigt sehr deutlich, dass es etwas ganz Besonderes ist, dass dieses erleuchtete Wesen in ein paar Monaten nach Dhagpo Kagyü Ling in Frankreich kommt. Für jene mit keiner Kenntnis des Dharma und zum Nutzen aller Lebewesen habe ich diese wenigen Zeilen geschrieben, damit alle die Gelegenheit nutzen, Seine Heiligkeit zu sehen und klar die Natur und die Kraft, die sein Segen gibt, zu erfahren. Wenn man Karmapas Gesicht sieht, ist es sicher, dass man vom Karma aller ungeschickten Handlungen der Vergangenheit befreit ist.7 Da es so wichtig ist, in dies Vertrauen zu haben,
schrieb ich diese Zeilen.
Aus dem Hippie-Magazine "International Times"
http://internationaltimes.it
Issue 8, 4 (1977)
1 Der vierte Buddha unseres Kalpas, Buddha Śakyamuni, prophezeite im Bhadrakalpa Sutra, dass in unserem großen Kalpa, das etwa 52 Milliarden Jahre dauert, 1002 Buddhas erscheinen werden: Der fünfte wird Maitreya heißen und der sechste auf Skt. Siṁha, auf Tib. Senge. Siṁha heißt Löwe, weswegen im Zusammenhang mit Karmapa oft von Löwengebrüll die Rede ist.
2 kro-wo-gnam-lchag-bar-we-gyud
3 Die Zitate sind der neueren Übersetzung in: Topga Rinpoche; Lama Tilmann Lhündrub (Übers.): Die Erklärung zur kostbaren Krone, die Befreiung durch Sehen gewährt, auch genannt: Das Gefäß der beiden Ansammlungen, 1999 entnommen.
4 mdo-ting-azine-rgyal-po-les
5 Tib. Phags pa Lang-kar gshegs pa'i theg pa chen po'i mdo). Da diese Hinweise in der chinesischen Version dieses Sūtras fehlen, wäre noch zu klären, ob diese Prophezeiungen authentisch sind (vergl. Suzuki, Daisetz T.: The Lankavatara Sutra; a Mahayana text, Routledge 1932).
6 Wie bereits erwähnt, ist umstritten, ob die Mahayana Sutras als Werke Buddhas oder von hochverwirklichten Praktizierenden, die dabei evtl. Visionen etc. des Buddha hatten, niedergeschrieben wurden.
7 Das heißt nicht, dass man von all seinem Karma befreit ist. Der 16. Karmapa sagte selbst, dass er beispielsweise nur Menschen „mit völlig reinem Samaya“die nach ihrem Tod zur Befreiung führen kann, andere, die er zu Lebzeiten traf, nähmen gemäß ihres Karmas Wiedergeburt an, wobei er ihnen selbstverständlich so weit als möglich hilft.