Die ersten Hippies Im folgenden Winter [1969] reiste Yishin Norbu nach Nepal und blieb für mehrere Monate im Kathmandutal. Sowohl die Exil-Tibeter – 20.000 waren allein in den Jahren 1959 bis 1961 nach Nepal geflohen[1] – als auch die Nepalesen suchten seinen Segen und Rat. Aber nicht nur sie: Seit seinem letzten Besuch gab es eine auffallende Neuheit in Nepal: Immer mehr den Einheimischen seltsam anmutende Westler besuchten das Land. Es war die Zeit der Hippies, die mit dem Magic Bus oder ihren eigenen, meist farbenprächtigen Autos über den Hippie Trail von Europa über Land nach Asien reisten. Die Szene dort war bisweilen grotesk. Kathmandu wurde zu einem Treffpunkt zweier Kulturen, wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können. Zum einen junge Menschen aus dem Westen, die von den Grauen des Vietnamkrieges sensibilisiert und von den Versprechen ihrer Wohlstandsgesellschaft nicht befriedigt in der fernöstlichen Spiritualität Antworten auf ihre existenziellen Fragen suchten – oder einfach die im Land noch legalen Drogen konsumieren wollten – und zum anderen die Bewohner des damals noch weitgehend traditionellen Landes. „Während buddhistische Mönche ihre Gebete auf dem höchst heiligen Monkey Temple Berg (Swayambhu) machten, schallte das Hit Album der Beatles Abbey Road durch die Straßen Kathmandus. Mit einem Schlag wurde diese mittelalterliche Kultur ins 20. Jahrhundert gestoßen“, erinnert sich einer der damaligen spirituell Suchenden. „Es war ein seltsamer Kontrast, (...) diese sonderbaren Hippies durch die historischen Straßen laufen zu sehen. (...) Man traf unglaublich viele junge Leute, die eine sehr intensive Atmosphäre schufen!“[2] (Mehr zu den ersten Westlern bei Karmapa auf S. wes#). Auch Ole Nydahl, heute selbst Lama, der mit seiner Frau Hannah nach Kathmandu kam, war ein solcher Hippie. Er beschreibt Yishin Norbus damaligen Besuch: „Das Tal um Swayambhu war wie im Rausch. Ständig strömten alle möglichen Menschen zusammen; Karmapa hörte sich ihre Freuden und Sorgen an, beriet, segnete und heilte sie, oft bis tief in die Nacht hinein. Immer gab es Orte, die er unbedingt besuchen sollte, und niemals sagte er nein. Er dachte nie an sich selbst.“[3] Während seines Aufenthalts gab Yishin Norbu vor dem vom Vierten Shamarpa gegründeten Kloster am Swayambhu-Stupa die Ermächtigungen auf Vajravārāhī (Tib.: Dordje Phagmo), Cakrasaṃvara (Tib.: Khorlo Demtschog)[4] und andere wichtige Yidams.* Anschließend schenkte man ihm das Kloster und er ernannte Sabtschu Rinpoche zu dessen Abt. Karmapa feierte das tibetische Neujahrsfest diesmal in Nepal. Den auf den traditionellen Mahākāla-Drubtschö folgenden schmuckvollen Schützertänzen, die er so mochte, wohnte er in Swayambhu bei, und anschließend fand in Bodhnath ein Volksfest mit den tibetischen Opern, Lhamo genannt, statt. Yishin Norbu blieb länger als geplant in Nepal, so viele Menschen im ganzen Land hatten ihn viele wichtige Dinge zu fragen oder ihn eingeladen: Die Gemeinschaft im Exil musste organisiert werden, neue Tempel und Stupas waren zu segnen… Während seines Besuchs gründete er beispielsweise auch das neue Kloster in Kirtipur, das heutige Kagyu Institute of Buddhist Studies (KIBS). Bei seiner Abreise zeigten sowohl Nepalesen als auch Exil-Tibeter ihre immense Dankbarkeit, indem sie ihn in großer Zahl zum Flughafen begleiteten, um sich von ihm zu verabschieden.
[1] Angabe des Central Tibetan Relief Committee (CTRC). Heute sind es nach dem United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) 38.000.
[2] Bhagavan Das: It's here Now (Are You?), Broadway Books 1997, S. 88.
[3] Nydahl: Die Buddhas vom Dach der Welt, Aurum, Neuaufl. 2003, S. 85/87.
[4] Dt.: Diamantschwein bzw. Rote Weisheit und Das Rad höchster Freude.